RAINER HESS (1970-2004)
Rainer Hess, ordentlicher Professor für Romanische Philologie, starb am 8. März 2004 kurz vor seiner Emeritierung völlig unerwartet nach kurzer und schwerer Krankheit in Freiburg.
"Rainer Hess studierte in Freiburg, Heidelberg, Berlin (FU) und Madrid Anglistik und Romanistik, legte im Jahr 1961 in Freiburg das Staatsexamen ab und promovierte gleichzeitig bei Hugo Friedrich über Das romanische geistliche Schauspiel als profane und religiöse Komödie. Danach war er von 1962 bis 1965 DAAD-Lektor an der Universität Lissabon und der Sorbonne in Paris. Die in der Romania verbrachten Jahre nutzte er zur Abfassung einer Habilitationsschrift über Die Anfänge der modernen Lyrik in Portugal (1865-1890), die er 1969 in Erlangen einreichte, wo er inzwischen Assistent von Gustav Siebenmann geworden war. Bereits ein Jahr später wurde er nach Freiburg berufen, wo nach 1965 im Gefolge der Pichtschen Bildungskampagne mehrere neue Lehrstühle errichtet worden waren.
Trotz eines an ihn im Jahr 1974 ergangenen Rufes nach Osnabrück auf einen Lehrstuhl für Vergleichende Literaturwissenschaft blieb Hess Freiburg treu. Dieser Ruf war insofern besonders reizvoll, als sich der Berufene immer auch als Komparatist verstand. Als Schüler von Hugo Friedrich war es für ihn stets eine Selbstverständlichkeit, die Romanistik in ihrer gesamten Breite in Forschung und Lehre zu vertreten. Er ließ vor allem übergreifende Themen zu Wort kommen, die sich in Texten aus den vier romanischen Hauptsprachen (Französisch, Spanisch, Italienisch und Portugiesisch) niedergeschlagen haben, mit einem Spannungsbogen von den Anfängen bis zur Gegenwart. Durch seine Dissertation war er einer der wenigen Spezialisten für das mittelalterliche romanische Theater und hat in zahlreichen einschlägigen Handbüchern die entsprechenden Artikel verfasst.
Rainer Hess, der einige Jahre lang erster Präsident des 1993 gegründeten Deutschen Lusitanistenverbandes war, hat sich besonders für den Ausbau der Lusitanistik, d.h. der Erforschung von Sprache, Literatur und Kultur Portugals, Brasiliens und der ehemaligen überseeischen portugiesischen Kolonien, eingesetzt. Dank diesem Einsatz verfügt die Albert-Ludwigs-Universität als eine der wenigen deutschen Hochschulen über eine voll ausgebaute Lusitanistik. Dies ist besonders wichtig, wenn man bedenkt, dass das Portugiesische mit über 140 Millionen Muttersprachlern zu den verbreitetsten Weltsprachen gehört und in fünf weiteren Staaten (Angola, Kap Verde, Guinea-Bissau, Moçambique, São Tomé und Príncipe) den Status der Amtssprache innehat.
Auf eine andere Initiative von Rainer Hess ging auch das inzwischen in der vierten Auflage erschienene Literaturwissenschaftliche Wörterbuch für Romanisten, zurück, das eines der meistbenutzten Informationsmittel der Disziplin darstellt und längst zu einem Standardwerk geworden ist. Dieses wichtige Wörterbuch ist aus jahrelanger Unterrichtstätigkeit hervorgegangen, für die sich Rainer Hess immer sehr stark engagiert hat. Als Herausgeber der von Hugo Friedrich begründeten Freiburger Schriften zur Romanischen Philologie setzte er eine ehrwürdige Tradition fort, denn in dieser seit 1960 bestehenden Reihe sind zahlreiche grundlegende Studien zu wichtigen Autoren, Gattungen und Methodenfragen der romanistischen Literaturwissenschaft erschienen."
Aus einem Nachruf von Frank-Rutger Hausmann, erschienen in den Mitteilungen des Franko-Romanisten-Verbandes, Bulletin 1/2004, S. 28-29.