Schreiben als Rezeption, Lesen als Produktion. Übung zu Marcel Bénabous Pourquoi je n´ai écrit aucun de mes livres und Jette ce livre avant qu'il soit trop tard.
Das Seminar wird sich mit einem Schriftsteller beschäftigen, den die Literaturwissenschaft, aus welchen Gründen auch immer, bisher noch nicht entdeckt hat und über den in den traditionellen Handbüchern so gut wie nichts zu finden ist. Das Wenige, was zu finden sein wird, soll das Seminar zusammentragen. Marcel Bénabou (Jahrgang 1939), Professor für Alte Geschichte in Paris VII, seit 1969 Mitglied im OULIPO (Ouvroir de littérature potentielle) und seit einigen Jahren Secrétaire définitivement provisoire der Gruppe, hatte mit Georges Perec 1967 ein Oulipo-ähnliches Literaturprojekt entwickelt P.A.L.F (Production automatique de la littérature française), dessen Leitsätze kurz und prägnant so lauteten: On ne commande au langage qu'en lui obéissant. Il est grand temps pour la littérature de prendre le langage au sérieux. Il faut déclarer hautement que le langage n'est plus le petit enfant que lon mène par la main et que l'on force à décrire en ses balbutiements le monde qui l'entoure. Il est assez vieux pour causer tout seul, le langage. Ce qu'il peut dire dans sa totale liberté vaut mieux que nos puériles inventions. Um eine solche causerie du langage zu ermöglichen, sinnen Bénabou und Perec auf ein verblüffend einfaches und produktives Verfahren: man nehme zwei Sätze und ersetze in diesen Sätzen die Substantive, Adjektive und Verben jeweils durch eine möglichst abgelegene Definition des Littré. Nach einer bestimmten Anzahl von Substitutionen werden beide Sätze zusammenfallen. So geschehen mit den Sätzen: Le presbytère n'a rien perdu de son charme ni le jardin de son éclat (Gaston Leroux) Prolétaires de tous les pays unissez-vous. (K.Marx) Weit davon entfernt, dies als einziges Kompositionsprinzip zu benutzen, obgleich sie es gleichwohl demonstrieren, handeln die ersten beiden Romane Bénabous: Pourquoi je n'ai écrit aucun de mes livres (1986) und Jette ce livre avant qu'il soit trop tard (1992), die im Zentrum der Seminararbeit stehen sollen, wie die Titel unschwer erkennen lassen, von Literatur. Tragen sie doch ihre abgewandelten literarischen Originale im Titel: Comment j'ai écrit certains de mes livres von Raymond Roussel und Jette ce livre aus André Gides Nourritures terrestres. D.h. die Themenstellung des Seminars, in welcher Weise Schreiben als Rezeption und Lesen als Produktion die Werkstruktur durcheinanderwirbelt, ist bereits titelgebend. Beide Romane kreisen um das Schreiben und das Lesen, um weiße und beschriebene Seiten, um Liebe und Literatur und besitzen eine schwindelerregende Komposition, der wir versuchen wollen, etwas auf die Spur zu kommen. Das Seminar wendet sich an StudentInnen, die Spaß daran haben, sich durch Texte irritieren zu lassen und die sich freuen, in zwei Werken ganze Bibliotheken an Primärliteratur und Literaturreflexion versammelt zu finden. Je nach Lesewut soll auch noch der letzte Roman Jacob, Ménahem et Mimoun. Une épopée familiale (1995) behandelt werden, über den Le Monde urteilte: Si "grand livre" veut encore dire quelque chose-disons-le.
Zur Anschaffung empfohlen: Pourquoi je n'ai écrit aucun de mes livres . Paris ( Seuil:La Librairie du XX siècle) 1986 und Jette ce livre avant qu'il soit trop tard. Paris (Seghers: Mots) 1992. Eventuell Jacob, Ménahem et Mimoun. Une épopée familiale. Paris ( Seuil: La Librairie du XX siècle) 1995
Zur Homepage Wolfgang Orlich